30.9.11

Kon-Tiki wird verfilmt


Film über Kon-Tiki kommt 2012 in die Kinos


Die legendäre Fahrt der Kon Tiki hat 1947 aus dem Norweger Thor Heyerdahl einen Volkshelden gemacht. Nächstes Jahr kommt sein Abenteuer ins Kino

Die See steigt hoch, die Brecher schäumen über das Floß, das mit den Wellen auf und ab tanzt, rollt, krängt. In dieser Nacht fällt der junge Norweger Pal Sverre Hagen acht Mal ins Wasser. Er lässt sich fallen, vor laufenden Kameras. Hagen hat die Rolle von Thor Heyerdahl übernommen.

"Eine legendäre Figur", freut er sich über seine Rolle. Wann er das erste Mal den Namen hörte, weiß er natürlich nicht, "er war Teil meines kulturellen Kosmos, immer" - wie es fast jedem jüngeren Norweger geht. Den 30-Jährigen bewegt es, ausgerechnet diesen Landsmann darstellen zu können beim Dreh in einer Bucht neben Valletta, der Hauptstadt Maltas, in einer von knatternden Wellenmaschinen aufgewühlten See. Regelrecht aus dem Häuschen aber ist eine Schauspieler-Kollegin von ihm, Jacqueline Beer, die nur zuschaut am Set, dafür aber emotional höchst engagiert ist. Die heute 79-jährige offenherzige Hollywood-Schönheit war von 1991 bis zu seinem Tod 2002 Heyerdahls Ehefrau. Sie ist Französin. "Natürlich" aber, so sagt sie, kannte auch sie ihn schon als Mädchen, hatte gleich 1947, mit 17, sein Buch verschlungen, war angetan von seinen Fotos, auch noch als sie wenig später dann, Anfang der 50er-Jahre, "Miss France" war.

Und jetzt steht er genau so vor ihr am Film-Set, der Pal Sverre Hagen, "dasselbe Alter, dasselbe Aussehen wie Thor damals 1947 auf den Fotos, es ist schon bewegend". Sechs junge Norweger, Typ Adonis allesamt, rund 30 Jahre alt. Keine Aphrodite dabei, das Drehbuch sieht keine vor. Es geht um die bekannteste Abenteuerfahrt der ersten Nachkriegsjahre, die jetzt für einen Spielfilm nachgedreht wird, nachdem sie sich als Buch zwischen 50 und 100 Millionen Mal in über 70 Sprachen verkauft hat. Das "Guiness"-Buch der Rekorde führte es lange Jahre als das weltweit bestverkaufte "Non Fiction"-Buch aller Zeiten: "Kon Tiki. Ein Floß treibt über den Pazifik".

Der neue Film ist das Projekt einer dänisch-britisch-deutschen Kooperation, Regie und Hauptrollen sind fest in norwegischer Hand. Die Herausforderung für die durchweg jugendlichen Macher und Schauspieler: Der Vorläufer-Film von 1947, dem Jahr der großen Floßfahrt, bekam als bester Dokumentarfilm einen Oscar. Thor Heyerdahl hatte damals selbst hinter der Schmalfilm-Kamera gestanden, auf seinem 101 Tage währenden Törn von Callao in Peru über 7000 Kilometer bis zu den Tuamotus südöstlich von Tahiti. Der Oscar steht heute in einer Vitrine im Thor-Heyerdahl-Museum in Oslo. Das Haus wird übrigens geleitet von einem, der Thor Heyerdahl noch weit mehr gleicht als Hagen, ein Doppelgänger. Er heißt sogar Thor Heyerdahl, ist der Sohn des Floßfahrers und hat selbst einen Sohn, der Thor heißt. Den Namen gibt die Familie nicht mehr aus der Hand.

Ein paar Meter vom Oscar entfernt liegt es dort, schwer, klobig, ruhig, fast 14 Meter lang und fünfeinhalb Meter breit, 20 Tonnen schwer. Im Halbdunkel mit seinem mächtigen Segel, von dem er weise und heilig herabstrahlt: Kon Tiki, der Gott, auf Kon Tiki, dem Floß mit seiner kleinen Bambushütte. Es sind jene grob zusammengeschnürten Balken im Original, mit denen vor 63 Jahren die moderne norwegische Saga Fahrt aufnahm. Mit einem Halbgott am Ruder: Thor Heyerdahl. Er wollte es ihnen zeigen, den "Eierköpfen" an den Unis, den Anthropologen, die aus dem Blickwinkel ihrer staubigen Studierstuben ihre Sichtweise auf die Besiedlungsgeschichte des Pazifiks nicht aufgeben wollten: Dass nämlich die Polynesier ausschließlich aus dem Westen gekommen seien, aus Asien, und nicht aus dem Osten, aus Amerika.

Der Norweger wollte das nicht glauben, spätestens seit er 1937 mit seiner ersten Ehefrau im Honeymoon auf Fatu Hiva lebte, im Marquesas-Archipel, östlicher Pazifik. Der ewige Ostwind dort und die Strömung aus derselben Richtung, die Unmengen an Treibholz anschwemmten, auch die geheimnisvollen Steinstatuen, die ihn an ähnliche Monumente in Amerika erinnerten, dann die unter den Insulanern bekannten Mythen über ihre Herkunft von einem Land weit im Osten, hinter dem Meer, all diese Hinweise ließen bei Heyerdahl eine abenteuerliche Theorie aufkommen, die ihm das Abenteuer seines Lebens bereiten sollte: die Theorie, dass die Kultur der pazifischen Inseln aus dem Osten gekommen sei, aus Amerika.

Aus Fatu Hiva kehrte der Norweger nicht in die Heimat zurück, sondern reiste kreuz und quer durch die USA, durch Kanada und Peru. Besessen von der fixen Idee, in einem primitiven Floß aus Balsastämmen - wie sie die ersten spanischen Eroberer an Lateinamerikas Küsten vorfanden - von Peru aus die vielen tausend Kilometer entfernten Inseln anzusteuern. Alles, nur um zu beweisen: So war es und nicht umgekehrt.

Heyerdahl erhielt viel Gegenwind. Alle Welt versuchte, ihm den Plan auszureden. Weil seine Theorie unsinnig sei, aber auch weil das Balsaholz sich mit Wasser voll saugen, das Floß gnadenlos absaufen würde, er hätte keine Chance. Im berühmten New Yorker Entdeckerklub bekam er wenigstens ideelle Unterstützung. Er fand Menschen mit Mut, die ihn, den Exoten, finanziell förderten. Und er sammelte fünf Mitstreiter um sich, vier Norweger, einen Schweden. Er erhielt neu entwickelte Survival-Nahrung von der U.S. Navy, die die sechs Männer damit quasi als Versuchskaninchen einsetzte. Die norwegische Regierung mobilisierte ihre Diplomaten in Peru so erfolgreich, dass der Präsident des Landes die Idee Heyerdahls persönlich sich zu eigen machte und jede Hilfe zusagte - schließlich arbeitete der Norweger daran, die pazifische Kultur als Ableger der altperuanischen hinzustellen. So konnten die Norweger ihre Balsastämme mit schwerem Gerät aus dem Hochland Perus herabholen und im Hafen von Callao zusammenschnüren.

Sie stießen ab - und überließen ihr weiteres Schicksal Wind und Strömung. Das Steuerruder am Heck war zwar lang, und die Männer stemmten sich immer mal mit aller Kraft hinein, aber letztlich war der Koloss fast manövrierunfähig. Keiner der sechs war übrigens Seemann. Anfängliche Spannung dann um die Haltbarkeit des Balsaholzes, bis klar war, dass die Stämme ihre Tragfähigkeit behielten. Anfängliche Unsicherheit, ob die Verpflegung über dreieinhalb Monate gewährleistet werden konnte, bis sie nach wenigen Tagen sahen, dass Fische im Überfluss da waren: der Hai, der fast täglich immer routinierter erlegt wurde, mit Haken, Messer und bloßen Händen, und die Dutzende von fliegenden Fischen, die jeden Morgen vom Deck aufgesammelt wurden. Anfänglich große Neugier darauf, wohin sie das Meer treibe, bis sie merkten, dass der Äquatorialstrom sie mitten hinein in die Welt der vielen Inseln treiben würde - und dass daran sowieso nichts zu ändern war.

Zeitvertreib bot die Gitarre, auch der Kurzwellensender, mit dem sie Kontakt zu Funkamateuren in aller Welt hielten, heute in Los Angeles, morgen in Neu-Delhi.

Genau drei Monate dauerte es, bis die Männer auf ihrem Floß zum ersten Mal an einer Atollinsel vorbeikamen, doch trotz Hilfe von Polynesiern in drei Kanus reichten alle vereinten Kräfte nicht, das träge Fahrzeug in die Lagune zu manövrieren, sie mussten sich wieder verabschieden. Acht Tage später, am 101. Tag der Reise hatten sie die nächste Landsicht - und saßen schließlich mit ihrem Floß auf einem Riff auf, vor dem Raroia-Atoll im Archipel der Tuamotus. Scharfe Korallen, Wind und Wetter ruinierten die Kon Tiki in ihren Grundfesten. Die Männer schafften es an Land, konnten viele ihrer Vorräte retten. Sie saßen auf einem unbewohnten "Motu" des Atolls, mussten eine Woche warten, bis zufällig einige Polynesier von der anderen Seite des Inselringes über die Lagune gepaddelt kamen und sie bei sich aufnahmen.

Die Floßreise über den Ozean, sicher die längste und weiteste der überlieferten Seefahrtsgeschichte, war geglückt, der Mythos Kon Tiki geboren. Die Welt war dankbar für das Abenteuer. Thor Heyerdahl hatte das Meer in den Dienst des Abenteuers zurückgeführt, mit seinem archaischen Gefährt fast bis in die früheste Ära der Völkerwanderungen. Er, der Pionier der experimentellen Altertumskunde. Zwei Jahre später war nicht nur sein Buch auf dem Markt, sondern stand auch, von Freunden hochgemauert, bei Oslo ein Haus, in dem die Kon Tiki nach ihrer Demontage und dem Transport um die halbe Welt wiederauferstehen konnte.

Die Schulweisheiten über die Besiedlung des Pazifiks konnte der Norweger nicht korrigieren. Archäologische Funde gaben der eingeführten Lesart letztlich recht. Allerdings breitet sich derweil auch die Einsicht stärker aus, dass es vor über tausend Jahren schon vielfältige Kontakte der Inseln auch nach Amerika gegeben hat. Die Genforschungen deuten darauf hin, aber auch die kolossalen Statuen auf der Osterinsel. Und die Verbreitung der Süßkartoffel (vor Ankunft der Europäer) von Südamerika quer über den Pazifik bis nach Neuseeland und sonst nirgendwo auf der Welt. Schließlich die Meeresströmungen - Heyerdahl hat es gezeigt.

Der Gelehrtenstreit spielt im neuen Film keine Rolle. Nicht allzu viel wird über das Drehbuch bekannt gegeben, aber alle Beteiligten sagen übereinstimmend, dass die Dramatik der in Wahrheit ja undramatischen Reise zugespitzt wurde. Und dies noch mit ausdrücklicher Zustimmung von Thor Heyerdahl selbst in den letzten vier, fünf Jahren vor seinem Tod 2002 - so lange wird das Projekt inzwischen verfolgt. Ein Zeichen dafür, dass sein Abenteurer-Gen bis zuletzt das Forscher-Gen ausstach? "Das kann man nicht sagen", antwortet sein Sohn Thor, "aber mein Vater war immer ein Profi im Umgang mit den Medien." Der Film kommt 2012 in die Kinos.

Quelle: Ulli Kulke , WELT AM SONNTAG 25.9.2011

Bearbeitet und gekürzt: Peter Hertel