20.1.15


Anthropologie: In Zähnen und im Kot lesen
Von Jürgen Langenbach  
"Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2015

Die Osterinsel bietet Rätsel, etwa jenes: keine Palmen (mehr), aber Spuren von Palmfrüchten im Zahnstein.

Die Anthropologie dringt mit feinstanalytischer Spurensicherung in immer subtilere Details vor. 

„Süßkartoffeln, nichts als Süßkartoffeln. Hier bei uns beginnen wir mit der Geburt, Süßkartoffeln zu essen, dann essen wir weiterhin Süßkartoffeln, und am Ende sterben wir.“ Das gab eine Bewohnerin der Osterinsel 1866 einem Forschungsreisenden zu Protokoll. Die ewig gleiche Knolle stand auf dem Speiseplan, seit Siedler um das Jahr 1200 herum auf das entlegenste aller Eilande gestoßen waren. Sie hatten Süßkartoffeln im Gepäck, Ratten auch, auch sie zum Essen, aber dort, wo sie herkamen, auf Polynesien, gab es von Natur her überhaupt keine Süßkartoffeln.
Sie mussten erst von Südamerika herkommen und dass sie den weiten Weg schafften, ist ein starkes Indiz für frühe Fernreisen von Polynesiern. Ein anderes fand sich an der Küste Chiles. Fossile Hühnerknochen aus der Zeit zwischen 1321 und 1407. In Südamerika wurden nie Hühner domestiziert, nach offizieller Lesart kamen sie erst mit den Konquistadoren, auf Polynesien hingegen waren sie vorhanden. Auch sie werden auf den Schiffen gewesen sein, die auf die Osterinsel stießen, zudem wurde der Tisch von Früchten einer heimischen Palme gedeckt.
Diese verschwand im Lauf der Jahrhunderte, warum ist umstritten. Für die einen, Jared Diamond an der Spitze („Collaps“), gruben sich die Osterinsulaner ihr eigenes Grab, indem sie alle Palmen abholzten, um damit die großen Steinstatuen zu transportieren. Andere sehen das völlige Verschwinden der Palmen als Werk entlaufener Ratten, die sämtliche Samen fraßen.
Wie auch immer, die Palmen waren weg, aber als Monica Tromp (Idaho State University) 2012 Zähne beziehungsweise Zahnstein längst verstorbener Osterinsulaner analysierte, fand sie darin Stärkekörner, also Spuren von Palmfrüchten. Auch in Zeiten, in denen es keine Palmen mehr gegeben haben soll. Jede Pflanze produziert sie in einer eigenen Form, die Forschung nutzt das seit etwa 15 Jahren als Archiv der Ernährung.
Etwa gleichzeitig wurde, wieder an Zähnen, eine andere Quelle erschlossen, die der feinsten Abriebspuren, die jede gekaute Nahrung hinterlässt. Aber Kratzer von Palmfrüchten hatten die Zähne nicht, in deren Zahnstein ihre Stärke eingelagert war. Der Abrieb zeigte nur Süßkartoffeln (International Journal for Osteoarcheology 16. 4. 2012). Das war eine harte Palmfrucht, Tromp hat sie nun geknackt. Die Stärke kam mit den Süßkartoffeln, abgefallene Palmfrüchte hatten sie in der Erde hinterlassen. Mit dieser Erde an den Kartoffelschalen der roh verzehrten Süßkartoffeln, gerieten sie in den Zahnstein.
(Journal of Archaeological Science, 4. 12. 2014).






12.1.15

Neue Erkenntnisse zum Untergang der Osterinselkultur?


Die Osterinsel flattert wieder einmal durch den Blätterwald und dafür ist sie ja immer gut genug. Mit den neuen Untersuchungen und Berichten wird vor allem dem Buchautor Jared Diamond (Kollaps, warum Gesellschaften überleben oder untergehen, 2006, Frankfurt am Main) widersprochen.

Mehrere Zeitungen berichten Anfang Januar  von einem Forscherteam um Christopher Stevenson von der Virginia Commonwealth University in Richmond (Virginia, USA). Man habe zwar entdeckt, dass die Nahrungsmittelproduktion an einigen Orten der Insel um 1700 zurückging, was aber auch mit einem trockenen Klima zu erklären sei.
Während Diamond eine Überbevölkerung und Abholzung der Insel als Grund für den Niedergang sah, fanden andere Forscher, dass durch die Europäer eingeschleppte Krankheiten (nach 1722) wie Pocken, Syphilis oder Tuberkulose als Ursache in Frage kämen.
Stevenson und Kollegen entdeckten nun durch die Untersuchung von bearbeiteten und datierten Obsidianstücken, dass Regen- und die Bodenverhältnisse entscheidender für die landwirtschaftliche Nutzung einiger Flächen war, als die Bevölkerungszahl. Das glasartige Mineral Obsidian wurde von den Einwohnern vielfältig genutzt. Seine Flächen verbinden sich umso stärker mit Wasser, je länger sie der Witterung ausgesetzt sind. Das kann zur Datierung des Bearbeitungszeitraumes der Minerale genutzt werden. So konnten Gebiete mit langer landwirtschaftlicher Nutzung und trockene Gebiete unterschieden werden.
"Diese Analyse zeigt, dass das Konzept eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs eine irreführende Charakterisierung der prähistorischen menschlichen Bevölkerungsentwicklung sei", so Stevenson.

Fazit: Die Forscher, die sich durch ihre Tätigkeit auf der Insel selbst adeln möchten, werden noch jede Menge Hypothesen hervorbringen. Was sie taugen wird vielleicht einmal die Zukunft zeigen oder die nächste Forschergeneration, die wieder ganz andere Zusammenhänge entdeckten und dadurch weiter dafür sorgen wird, dass wir eine der schönsten und interessantesten Insel nie vergessen werden. Danke.
Peter Hertel