Anthropologie: In Zähnen und im Kot lesen
Von Jürgen
Langenbach
"Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2015
Die
Osterinsel bietet Rätsel, etwa jenes: keine Palmen (mehr), aber Spuren von
Palmfrüchten im Zahnstein.
Die Anthropologie dringt mit feinstanalytischer Spurensicherung
in immer subtilere Details vor.
„Süßkartoffeln, nichts als Süßkartoffeln. Hier bei uns beginnen
wir mit der Geburt, Süßkartoffeln zu essen, dann essen wir weiterhin
Süßkartoffeln, und am Ende sterben wir.“ Das gab eine Bewohnerin der Osterinsel
1866 einem Forschungsreisenden zu Protokoll. Die ewig gleiche Knolle stand auf dem
Speiseplan, seit Siedler um das Jahr 1200 herum auf das entlegenste aller
Eilande gestoßen waren. Sie hatten Süßkartoffeln im Gepäck, Ratten auch, auch
sie zum Essen, aber dort, wo sie herkamen, auf Polynesien, gab es von Natur her
überhaupt keine Süßkartoffeln.
Sie mussten erst von Südamerika herkommen und dass sie den
weiten Weg schafften, ist ein starkes Indiz für frühe Fernreisen von
Polynesiern. Ein anderes fand sich an der Küste Chiles. Fossile Hühnerknochen
aus der Zeit zwischen 1321 und 1407. In Südamerika wurden nie Hühner
domestiziert, nach offizieller Lesart kamen sie erst mit den Konquistadoren,
auf Polynesien hingegen waren sie vorhanden. Auch sie werden auf den Schiffen
gewesen sein, die auf die Osterinsel stießen, zudem wurde der Tisch von
Früchten einer heimischen Palme gedeckt.
Diese verschwand im Lauf der Jahrhunderte, warum ist umstritten.
Für die einen, Jared Diamond an der Spitze („Collaps“), gruben sich die
Osterinsulaner ihr eigenes Grab, indem sie alle Palmen abholzten, um damit die
großen Steinstatuen zu transportieren. Andere sehen das völlige Verschwinden
der Palmen als Werk entlaufener Ratten, die sämtliche Samen fraßen.
Wie auch immer, die Palmen waren weg, aber als Monica Tromp
(Idaho State University) 2012 Zähne beziehungsweise Zahnstein längst
verstorbener Osterinsulaner analysierte, fand sie darin Stärkekörner, also Spuren
von Palmfrüchten. Auch in Zeiten, in denen es keine Palmen mehr gegeben haben
soll. Jede Pflanze produziert sie in einer eigenen Form, die Forschung nutzt
das seit etwa 15 Jahren als Archiv der Ernährung.
Etwa gleichzeitig wurde, wieder an Zähnen, eine andere Quelle
erschlossen, die der feinsten Abriebspuren, die jede gekaute Nahrung
hinterlässt. Aber Kratzer von Palmfrüchten hatten die Zähne nicht, in deren
Zahnstein ihre Stärke eingelagert war. Der Abrieb zeigte nur Süßkartoffeln
(International Journal for Osteoarcheology 16. 4. 2012). Das war eine harte
Palmfrucht, Tromp hat sie nun geknackt. Die Stärke kam mit den Süßkartoffeln,
abgefallene Palmfrüchte hatten sie in der Erde hinterlassen. Mit dieser Erde an
den Kartoffelschalen der roh verzehrten Süßkartoffeln, gerieten sie in den
Zahnstein.
(Journal of Archaeological Science, 4. 12. 2014).