Quelle: Spektrum News
| 23.10.2014
Neue Erkenntnisse zur Herkunft der Osterinsulaner
Polynesier
entdeckten Amerikaner - und umgekehrt
Forscher sind
immer sicherer, dass lange vor den Europäern Seefahrer über den Pazifik hin-
und hergesegelt sind. Schon im Mittelalter kamen Amerikaner so auf die
Osterinsel - und im Gegenzug polynesische Siedler bis nach Brasilien.
Die
zweitgrößte nautische Leistung der Menschheit war die Eroberung der
unbesiedelten pazifischen Eilande bis hin zum hintersten, der abgelegenen
Osterinsel: Hier landeten wohl im Zuge einer über einige Jahrzehnte hin
andauernden Expansion um das Jahr
1200 die ersten Pioniere; etwa 30 bis 100 Männer, Frauen und Kinder
in Doppelrumpfkanus mit Auslegern. Schon lange vermuten Forscher, dass die
erfolgreichen Seefahrer und ihre Nachkommen nicht auf immer und ewig in ihrer
neuen Heimat blieben, sondern ab und an auch noch weiter nach Osten fuhren, wo
der amerikanische Kontinent mit etwas Segelgeschick bei flauem und deshalb
wenig störenden Passat-Gegenwind nicht zu verfehlen ist.
Erst von dort
aus musste sich dann aber die allermutigste Tat der menschlichen Seefahrt
anschließen: Die Reise von Südamerika aus über rund 3700 Kilometer zurück
nach Westen, ohne dabei den winzigen Heimathafen Osterinsel im riesigen Stillen
Ozean zu verpassen. Diese Fahrt dürfte tatsächlich gelungen sein, wie
Genanalysen jetzt beweisen: Im Erbgut von Osterinsulanern finden sich Spuren
von Genen, die eindeutig noch vor der Ankunft der Europäer aus Südamerika
importiert wurden.
Mit Gefährten
zurück nach Hause
Diesen Schluss
ziehen der Evolutionsbiologe und Doyen der Erbgutanalyse alter Völker, Eske
Willerslev von der Universität Oslo, nachdem er und sein Team die Gene von
Ureinwohnern der Osterinsel einer genauen Untersuchung unterzogen
haben [1]. Dabei achteten sie insbesondere auf verräterische Abschnitte in
der DNA, die Vermischungen der Insulaner und ihrer Ahnenreihe mit Volksstämmen
aus anderen Weltgegenden belegen. Ergebnis: Die einheimischen Rapanui sind, wie
erwartet, größtenteils genetische Polynesier und am nächsten verwandt mit
Bewohnern der Cook-Inseln. Zudem aber tragen sie 16 Prozent europäische
und etwa 8 Prozent südamerikanische Gene.
Die immer
ausgefeilteren Analysealgorithmen erlauben mittlerweile, solche genetischen
Beimischungen nicht nur aufzudecken, sondern auch zeitlich einzuordnen. Dabei
ergibt sich naturgemäß, dass erst nach der "Entdeckung" der
Osterinsel durch den Holländer Jakob Roggeveen 1722 europäisches Erbgut
einzuschleichen begann – vor allem als ab 1862 das düstere Kapitel der
Insulaner-Verschleppung von den Inseln einsetzte und europäische Sklavenhändler
sich auf der Insel festsetzten. Als Chile 1888 das Eiland annektierte, wurden
die Verbindungen dann nochmal enger.
Mit aller
Vorsicht schon in den Jahren zwischen 1310 und 1420, ganz sicher aber vor der
Mitte des 18. Jahrhunderts mischten sich jedoch bereits deutliche
südamerikanische Einflüsse in den Genpool der Osterinsulaner, zeigen die
Gendaten. Das bestätigt frühere, noch weniger genaue Erkenntnisse, die bis dato
aber niemand so ganz hatte glauben wollen [2]. Dabei sammeln sich schon
seit Anfang des letzten Jahrhunderts Indizien auf Indizien für einen frühen,
präkolumbianischen kulturellen Austausch zwischen Amerika und den verschiedenen
Inseln Polynesiens: Bootstypen und Angelgerät sowie ihre Benennung ähneln sich
hier und dort und Süßkartoffel wie Flaschenkürbis fanden ihren Weg von Ost nach
West. In Gegenrichtung reisten womöglich Hühner: In einer (allerdings wegen
Datierungsproblemen nicht unumstritteten [3]) Studie konnte "polynesisches
Erbgut" in
Knochenresten von Federvieh nachgewiesen werden, dass vor den ersten
europäischen Hühnern nach Amerika importiert worden war.
Moais auf der
Osterinsel
Eine Reihe von
Moais auf der Osterinsel. Schon seit langer Zeit versuchen Archäologen, die
Statuen und die Bauweise der Plattformfundamente (den "Ahu") mit
südamerikanischen Vorbildern zu erklären – bis dato aber noch nie wirklich für
alle Experten überzeugend. Immerhin zeigen neue Genuntersuchungen, dass
tatsächlich folgenreiche Kontakte zwischen dem entfernten Rapa Nui und dem
Kontinent bestanden.
Die
südamerikanischen Gene in den Rapanui belegen den frühen Kontakt zwischen
Osterinsel und Amerika nun aber wohl endgültig. Wie die Navigatoren den Rückweg
auf die Insel geschafft haben – offensichtlich mitsamt neuen
südamerikanischen Genen und GespielInnen – bleibt unbekannt, aber jedenfalls
ein Meisterstück. Vielleicht gelang die
Reise in machen Zeiten und Klimafenstern leichter. Eine Frage bleibt
indes offen: Traten überhaupt alle aus Polynesien stammenden Amerikaentdecker
die Rückreise an?
Polynesier
besiedeln Brasilien
Bisher gab es
auf diese Frage keine Antwort. Und selbst Genforscher hofften eigentlich nicht
unbedingt auf eine; denn wahrscheinlich, so ihre Annahme, ist ein etwaiger genetischer
Einfluss weniger polynesischer Immigranten im Genpool der vielen Amerikaner
schlicht nicht eindringlich genug und wäre längst zu stark verdünnt, um ihn
heute nachweisen zu können. Falsch gedacht, meint Willerslev nun in einer
zweiten Publikation, die er mit einem Team von Forschern durchgeführt hat.
Dabei
untersuchte das Team die Schädel von brasilianischen Ureinwohnern, den
Botocudos (auch Botokuden, Aymoré oder Krenak genannt). Diese indigenen
Südamerikaner – benannt sind sie nach den charakteristischen
Holzscheibenschmuck in der Oberlippe, den "Botoques" – lebten
einst vor allem in den Küstenregionen des heutigen brasilianischen
Bundesstaates Minas Gerais. Heutzutage gibt es nur noch sehr wenige Angehörige
dieses Stammesverbunds, der bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von den
europäischen Siedlern in einen jahrzehntelangen, brutalen Vernichtungskampf
getrieben wurde. Ihm fielen wohl auch zwei Krieger zum Opfer, deren Schädel in
einer brasilianischen Museumssammlung aufbewahrt sind.
Zuletzt waren diese
Schädel genetisch untersucht worden, wobei auffiel, dass die beiden Männer
offensichtlich polynesisches Erbgut gehabt hatten. Wahrscheinlich, so die
Erklärung, gehörten sie also zu den Unglücklichen, die im Zuge der Sklaverei
nach Südamerika verschleppt wurden. Sie könnten die Südseegene etwa aus
Madagaskar mitgebracht haben (von wo viele Sklaven mit ozeanischen Vorfahren
stammen); oder vielleicht aus Polynesien selbst, wo in den Jahren 1862 bis 1864
zahlreiche Menschen versklavt worden waren.
Die indigenen
Botocudos – benannt nach dem Holzscheibenschmuck in der Oberlippe, den
"Botoques" – waren vor allem in den Küstenregionen von
Zentralbrasilien beheimatet. Zwei alte Schädel, die von Anthropologen gesammelt
und durch eine Aufschrift als den Botocudos zugehörig gekennzeichnet wurden,
haben Forscher jetzt genetisch untersucht.
Beides kann
aber nicht stimmen, meinen nun Willerslev und Co nach einer neuen und viel
genaueren Untersuchungen des Erbguts der Toten [4]. Zum einen zeigen beide
Botocudos keinerlei nicht polynesisches Genmaterial – eine typische
Beimischung afrikanischer Genen sei aber sicher, wenn sie oder ihre Vorfahren
aus Madagaskar verschleppt worden wären. Wichtiger aber sei, dass die beiden
Toten deutlich früher gelebt hatten als bisher angenommen: Die (wegen
verschiedener Umstände recht kniffelige) Radiokarbondatierung ihrer Zähne
belegt, dass sie fast sicher schon vor 1760 gestorben waren – und
womöglich eher sogar im 16. oder frühen 17. Jahrhundert gelebt haben.
Mithin: Lange bevor Europäer Sklaven, geschweige denn Sklaven aus Polynesien
nach Brasilien gebracht haben. Noch stehen weitere Untersuchungen aus, aber
Willerslev ist recht sicher: Die Botocudos oder ihre Vorfahren scheinen selbst
aus dem Pazifikraum eingewandert zu sein, haben den ganzen südamerikanischen
Kontinent durchquert und sich schließlich an der Ostküste niedergelassen.
Das
wirft – auch wenn handfeste Gegenargumente fehlen – natürlich
allerlei Fragen auf. Warum, zum Beispiel, haben sich die Polynesier in
Südamerika offenbar lange Zeit nicht mit Südamerikanern vermischt? Warum
verwendeten sie, ungeachtet der offensichtlich fehlenden Kontakte mit dem Rest
Südameras, trotzdem ein einheimisches, den Macro-Ge-Sprachen zugehöriges Idiom,
als die Europäer sie kontaktierten (und töteten)? Könnte es sich um einen
großen Zufall handeln (etwa zwei um das Jahr 1750 an Bord europäischer Schiffe nach
Brasilien gereister Polynesier, die zufällig beide im selben Stamm im
Landerinneren landeten)?
Ganz klar:
"Es ist schwer zu erklären, warum wir die ältesten polynesischen Genspuren
Südamerikas mitten im brasilianischen Urwald gefunden haben", meint die Willerslev-Gruppe
– und will vor allem erst einmal andere Botocudo-DNA genauso penibel
untersuchen wie die Spuren aus den beiden nun erforschten Schädeln. Klar sei
aber, dass die bisher gefundenen Erbgut-Spuren aus Polynesien stammen, und dass
sie viel älter sind als 200 Jahre. Und ebenso sicher ist, dass vielleicht schon
im Mittelalter Polynesier nach Amerika segeln konnten – sie werden auch
irgendwo auf dem Weg nach Brasilien Spuren hinterlassen haben, hoffen die
Forscher.
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QUELLEN
Und es gab ihn
doch – den Kontakt zwischen Südamerika und der Osterinsel mitten im Pazifik.
Neue DNA-Vergleiche belegen, dass sich vor rund 800 Jahren die polynesischen
Bewohner der Osterinsel mit Ureinwohnern Südamerikas gekreuzt haben. Ob sie
damals per Floß nach Westen reisten und zurück oder ob Indianer sie besuchten,
ist allerdings noch unklar, wie Forscher im Fachmagazin “Current
Biology” berichten.
Riesige Steinköpfe
mit großen Nasen und langen Ohren blicken Ankömmlingen entgegen: Die gewaltigen
steinernen Moais der Osterinsel sind so geheimnisvoll wie weltberühmt. Woher
ihre Erbauer kamen, war lange umstritten. Der norwegische Abenteurer Thor
Heyerdahl glaubte, in den Osterinsel-Statuen Ähnlichkeiten zu südamerikanischen
Skulpturen zu erkennen und vermutete deshalb, die Ureinwohner seien
ursprünglich aus Südamerika gekommen.
Polynesische
Wurzeln
Dass eine
Seereise von Südamerika aus bis zu dieser entlegenen Pazifikinsel selbst mit
einem einfachen Floß möglich ist, belegte Heyerdahl 1947 in seiner berühmtem
Kon-Tiki-Expedition. Mit einem Floß aus Balsaholz segelte er von Peru bis zu
den Tuamotu-Inseln Französisch-Polynesiens. Die gängige Lehrmeinung und
zahlreiche archäologische und genetische Hinweise sprachen und sprechen
allerdings gegen eine Erstbesiedelung der Osterinsel aus Südamerika.
Stattdessen
geht man heute davon aus, dass die Ureinwohner der Osterinsel polynesischen
Ursprungs sind. Das Seefahrervolk breitete sich vom asiatischen Festland
kommend nach Osten und Süden aus und erreichte dank günstiger Klimaumstände vor
gut 1.200 Jahren auch die Osterinsel. Offen blieb jedoch, ob die Bewohner der
Insel anschließend Kontakt mit den Menschen im etwa 4.000 Kilometer entfernten
Südamerika aufnahmen.
Anteile
indianischer Gene
Victor
Moreno-Mayar vom Museum für Naturgeschichte in Kopenhagen und seine Kollegen
haben dies nun erneut mittel Genanalysen überprüft – und bestätigt. Vergleiche
des Genoms der 27 untersuchten Osterinsel-Bewohner ergaben, dass ihr Erbgut zu
76 Prozent polynesisch, zu 16 Prozent europäisch und zu 8 Prozent
indianisch-amerikanisch ist.
“Die Präsenz
von Genen amerikanischer Ureinwohner allein beweist noch nicht, dass es einen
präkolumbianischen Kontakt gab”, räumen die Forscher ein. Doch die DNA-Analysen
zeigten auch, wann es zur Einkreuzung des indianischen Erbguts kam. Demnach
geschah dies etwa zwischen 1280 und 1425 – rund 400 Jahre, bevor die ersten
Europäer die Osterinsel betraten.
Ausflüge nach
Südamerika?
Wie genau der
Kontakt zwischen den Nachfahren der Polynesier und südamerikanischen Indianern
damals ablief, ist allerdings unklar. Nach Ansicht von Moreno-Mayar und seinen
Kollegen ist es jedoch wahrscheinlicher, dass die Polynesier von der Osterinsel
aus nach Osten segelten und dann von dieser Reise zurückkehrten –
möglicherweise in Begleitung von Indianern. Denn die Küste Südamerikas ist bei
einer solchen Fahrt quasi nicht zu verfehlen, umgekehrt ist die Chance
verschwindend gering, die Osterinsel bei einer Fahrt von Osten aus durch Zufall
zu finden.
Thor Heyerdahl
lag demnach zumindest nicht komplett falsch: Es gab Kontakt zwischen Südamerika
und der Osterinsel – auch wenn dieser wahrscheinlich von den Polynesiern
ausging und nicht von den Indianern. Dafür spricht auch ein Fund, den Forscher
vor kurzem in Brasilien machten: Dort entdeckten sie zwei alte Schädel von
Ureinwohnern, deren Erbgut sich als rein polynesisch erwies – auch dies spricht
für Besuche der Pazifikbewohner auf dem Kontinent.
Und auch die
Seereise zwischen den beiden Regionen, die er mit der Kon-Tiki nachvollzog, hat
offensichtlich mehrfach stattgefunden. Das belegt erneut, dass auch für
vermeintlich primitive Kulturen die Ozeane keine unüberwindbare Barriere waren.
Quellen:
Current Biology/scinexx.de vom 24.10.2014